Standard IV: Monotonie ist Qualität. Matthias Rottmann, DeZwarteHond, Groningen Rotterdam Köln

Serielles Bauen ist unromantisch. Es stellt weder den Schaffenden noch den zukünftigen Bewohner ins Zentrum des Entwurfsprozesses, sondern ist die Verschneidung eines egalisierenden Gesellschaftsbildes mit einem volkswirtschaftlichen Optimierungsgedanken. Das serielle Bauen scheint Opfer seines eigenen Erfolges geworden zu sein. Die pure Möglichkeit, in großem Stil immer wieder die gleiche Einheit zu reproduzieren, schien in der Vergangenheit so verlockend, dass dabei städtebauliche und gesellschaftliche Aspekte immer weiter ausgeblendet wurden. Letztendlich hat das serielle Bauen durch diesen Substanzverlust in West- wie Osteuropa spätestens 1989 ein Ende gefunden. In den letzten Jahren sind wieder einzelne Projekte entstanden, die einen anderen Weg gehen. »Adaptable Prototypes« (anpassungsfähige Prototypen) und Kleinserien, die wie hochspezialisierte Medikamente für bestimmte Situationen oder funktionale Anforderungen eingesetzt werden können, bieten neue Ansatzpunkte auch für die gestalterische Qualität. Diese Typen sind für eine Aufgabe oder eine spezielle Situation entwickelt, werden kontinuierlich optimiert und somit besser als ein Unikat.

Neue Anwendungsmöglichkeiten für das serielle Bauen. Oft ist es in der Vergangenheit zur unreflektierten Wiederholung eines Typs und zur unreflektierten Anlage von monostrukturierten Großsiedlungen mit negativem Image gekommen. Seitdem fristet das serielle Bauen ein Nischendasein in unserer postfordistischen Gesellschaft, die den Gedanken der Optimierung von Prozessen und Produkten zwar als Grundprinzip versteht, sich aber dennoch nach Individualität sehnt. Doch im Zuge der aktuellen Wohnungsknappheit und der Notwendigkeit bezahlbaren Wohnraums nähern sich Architekten und innovative Auftraggeber wieder der Frage an, ob ein richtig verstandenes serielles Bauen eine Lösung für die drängenden Probleme sein kann. Dafür brauchen wir mehr Auswahl und speziellere, bessere und komplett entwickelte Entwürfe.

Auch Typen ermöglichen architektonische und soziale Freiräume. Der ökonomische Mehrwert der seriellen Architektur hat zwei Komponenten. Erstens entstehen bei wiederholtem Einsatz geringere Planungs- und Baunebenkosten. Zweitens resultiert aus einer tieferen Durchdringung des architektonischen Entwurfs eine Kosteneffizienz durch optimierte Bauprozesse, die Möglichkeit weitgehender Vorfertigung und eine geringe Fehlerquote. Die Wiederholung beim »Adaptable Prototype« oder der Kleinserie ermöglicht die Reduktion von Kosten und eine Steigerung der Effizienz und hält Ressourcen und Spielräume für die Schaffung von Mehrwert auf anderen Entwurfsfeldern vor – sowohl in architektonischer wie auch in sozialer Hinsicht. Dies setzt allerdings eindeutige Beschreibungen und Definitionen des Serientypus in Wort, Zeichnung oder mit einem Musterhaus voraus. Die Entscheidung des Auftraggebers für einen Typ, also die Auswahl zwischen verschiedenen Modellen, wird zum zentralen Moment im Entwurfsprozess.

Serielles Bauen ist mehr als Vorfertigung. In Teilbereichen des Bauens ist Serialität heute schon Normalität. Fassaden aus Stahl oder Aluminium und Glas bedienen sich standardisierter Profile, Details und existierender Anwendungs- und Effizienznachweise. Gleiches gilt auch für Lochfassaden mit Wärmedämmverbundsystem und Kunststofffenstern. Ähnliche Beispiele lassen sich für fast alle Bauteile finden: Decken und Dachsysteme, Türen und Systemwände, Treppen oder Aufzüge. Vorfertigung wird gerne als Indikator für Standardisierung oder »serielles Bauen« missdeutet. Ein hoher Vorfertigungsgrad reagiert jedoch vielmehr auf Fragen der Bauzeit, der Baulogistik und der räumlichen Verteilung und Verfügbarkeit von Arbeitskraft, Fertigungstechnik und Know-how.

Serielles Bauen geht weiter. Sein wichtigstes Merkmal ist, dass im Zentrum des Entwurfes die Entwicklung eines Serientypus in Form eines vollständigen Gebäudes steht – also der Entwurf als ökonomisches und formales Gesamtkunstwerk. Dieser Typus kann mit geringen Anpassungen, die bereits im System vorgedacht sind, an verschiedenen Orten errichtet werden. Die Abweichungen vom Grundtyp betreffen vor allem die Nutzungen der Erdgeschosszone. Sie werden auch durch topografische Eigenarten und städtebauliche Situationen bewirkt. Serielles Bauen braucht richtige Rahmenbedingungen. Da erzielte Effizienzgewinne im seriellen Entwurf oft durch steigende Grundstückspreise wieder »aufgefressen« werden, sind serielle Architekturen insbesondere für die öffentliche Hand und deren Wohnungsunternehmen interessant. Beide verfügen über Flächenreserven oder haben einen exklusiven Zugang zu diesen und müssen sich den gesellschaftlichen Anforderungen nach bezahlbarem Wohnraum stellen. Es bedarf neuer Vergabeverfahren oder Wettbewerbsformen, die es erlauben, ein Produkt »zu kaufen« oder anzubieten. Dies ist bislang eine wesentliche Barriere für die Entwicklung marktreifer serieller Architekturen. Auch hier muss Innovation einsetzen.

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