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„Die Mischung macht’s“ in Bonn: „Leben und arbeiten in der Bonner Nordstadt“

13. Oktober 2017

Kiosk und Kunstverein, Metzger und Moschee, Buchantiquariat und Boutique, und viele schmuck restaurierte Gründerzeithäuser: Die Bonner Nordstadt ist des Stadtplaners Traum vom gemischten, lebendigen Viertel. „Ein Modell für zukünftige Quartiersentwicklungen?“ war eine der Fragen des BDA Bonn-Rhein-Sieg, die er zur Diskussion stellte. Was waren die erfolgreichen Stellhebel für diese Entwicklung bisher und wie schützt man in Zukunft die Strukturen im Viertel?

Brigitte Denkel hat die Entwicklung der Bonner Nordstadt jahrzehntelang begleitet.

Ende des 19. Jh. siedelten sich im Bonner Norden Ladenbetreiber und Handwerker an, in den Erdgeschossen und Höfen lagen Gewerbeflächen, in den oberen Etagen Wohnungen. Die kaum begrünte Nordstadt wies bald die dichteste Bebauung in Bonn auf. Die Jahrzehnte gingen ins Land, und in den 70er Jahren drohte das stark durchmischte Viertel zu kippen.  Der Verkehr dröhnte mit bis zu 70 h/km durch das Viertel, jedes Jahr kamen drei Personen bei Verkehrsunfällen ums Leben.

Brigitte Denkel, Architektin und ehemals im Stadtplanungsamt der Stadt Bonn, war bei der 1979 von der Stadt beschlossenen Rahmenplanung beteiligt. Sie umfasste verkehrsberuhigende und -reduzierende Maßnahmen, die Begrünung des Viertels und die Entkernung der Innenhöfe für Freiflächen und Spielplätze. Den „angeknabberten, aber erhaltenswerten Vorderhäusern“, so Brigitte Denkel, wurde ein Fassadenprogramm verordnet, um das historische Straßenbild wiederherzustellen.

Die Petersstraße im Jahr 1979

Die gründerzeitliche Häuser in der Bonner Nordstadt wurden teilweise mit Fördergeldern des Landes NRW zwischen 1984 und 1994 restauriert.

Das Geld für die Realisierung entstammte dem Förderprogramm zur Wohnumfeldverbesserung des Landes NRW. Der Erfolg kann sich mit stolzen Zahlen sehen lassen: fünf Grünflächen gibt es nun, 90 mit Fördergeldern restaurierte Fassaden, 40 begrünte Höfe und 400 Straßenbäume. Eine Befragung im Jahre 1989 ergab, dass nach der Umgestaltung die Mieten nicht wesentlich gestiegen waren.

Heute eine begehrte Wohnlage

Die Ansiedlung neuer Gastronomie verhindert der Bebauungsplan aus den 80er Jahren; es gibt nur Bestandschutz für die bestehenden. Seit drei Jahren werden einzelne Stellplätze der Außengastronomie gewidmet: „Das ist immer noch kontrovers, aber mittlerweile redet man wenigstens miteinander,“ so ein Anwohner. Kommunikation findet auch in den zahlreichen Initiativen zu den Themen Wasser für die Brunnen, Bepflanzung der Baumflächen etc. statt.

Ein lebenswerter Stadtteil in zentraler Lage mit Altbaubestand: Das weckt Begehrlichkeiten. Zahlen im Internet sprechen von einem Kaufpreisanstieg von 11,6 % im Jahr 2016 bei Bestandsgebäuden – keine gute Prognose für die Durchmischung.

Zentrale Fragen: Wie weit ist die Gentrifizierung in der Bonner Nordstadt fortgeschritten und wie kann sie in Zukunft kontrolliert werden?

Im theoretischen Teil des Abends, der in der Orgelbauwerkstatt Johannes Klais stattfand, ging es deshalb um planerische Steuerungsmöglichkeiten, um Mischung herzustellen und zu schützen. Dr. Andreas Pätz, ehemaliger Leiter des Stadtsanierungsamtes der Stadt Tübingen, stellte den Klassiker für nachhaltige Stadtentwicklung vor, das Französische Viertel in Tübingen. Eine Zuhörerin im Publikum stellte die Gretchen-Frage: Warum ging in Tübingen, was anderswo nicht geht? Das Gelände wurde zu 90% an Baugemeinschaften vergeben. „Dazu gehört eine Kommune, die den Willen und den Mut aufbringt, das konsequent weiter zu entwickeln,“ so Pätz.

In der Werkstatt von Johannes Klais Orgelbau, einer der Handwerksbetriebe, die in der Bonner Nordstadt für Mischung sorgen.

 

Brigitte Scholz, Leiterin des Amtes für Stadtentwicklung und Statistik der Stadt Köln, moderierte die Podiumsdiskussion. V.l.: Brigitte Scholz, Andreas Pätz, Michael Isselmann, Andreas Röhrig

Als roter Faden zog sich die Erkenntnis durch den Redeteil, das rechtliche Planungsinstrumente das Eine sind, aber: „Es braucht eine aktive Diskussion im Quartier, nur die rechtliche Fixierung des Milieuschutzes wird nicht ausreichen,“ so Michael Isselmann, Leiter des Stadtplanungsamtes Bonn. Und Andreas Röhrig, Geschäftsführer der Kölner Stadtentwicklungsgesellschaft, formulierte: „Mischnutzung heißt auch, dass man Toleranz übt.“ Um die Verständigung in der Bonner Nordstadt scheint es jedenfalls ganz gut bestellt zu sein, und beim anschließenden Imbiss ließ sie sich noch ein Stück vertiefen. (Text und Fotos: Ira Scheibe)

Quelle für die Kaufpreisangabe: https://www.capital.de/immobilien-kompass/bonn/bonn/nordstadt.html#portrait