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Architektur als Chiffre – Zum Tod von Peter C. von Seidlein

15. Oktober 2014

Einer der besten Architekten Deutschlands ist tot. Am 30. September verstarb Peter C. von Seidlein 89-jährig in München.

Er studierte Architektur an der Technischen Hochschule München u.a. bei Franz Hart, Hans Döllgast und Martin Elsaesser. Er wurde Stipendiat am Illinois Institut of Technology in Chicago, wo er bei Ludwig Hilbersheimer und Ludwig Mies van der Rohe lernte. Er arbeitete bei Egon Eiermann in Karlsruhe und Gerhard Weber in München sowie als Assistent beim Bauhausschüler Gustav Hassenpflug an der Technischen Hochschule München, bevor er in München als freischaffender Architekt tätig war und dort die meisten seiner Wohnhäuser und Bürobauten baute. Zu seinen Mitarbeitern zählten zeitweise Thomas Herzog, Helmut Jahn, Uwe Kiessler. Er erhielt den Förderpreis für Architektur der Stadt München, und den Architekturpreis der Stadt München, ihm wurde die Ehrendoktorwürde der Technischen Universität München verliehen. Er war Mitglied der Akademie der Künste, der Stadtgestaltungskommission München sowie des Bayerischen Landesdenkmalamtes.

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Peter C. von Seidlein

Zudem war er lange Jahre Dozent für Baukonstruktion und Entwerfen an der Universität Stuttgart. Peter C. von Seidlein war Präsidiumsmitglied im Bund Deutscher Architekten (BDA) und seit 1995 Ehrenmitglied des BDA Bayern.

Mit seinem Namen verbindet sich eine ebenso konstruktive und minimalistische wie stets elegante und noble Architektursprache. Davon zeugen sein Wohn- und Geschäftshaus in der Münchener Hildegardstraße mit seiner einfühlsamen Handhabung des Vokabulars klassischer räumlicher und konstruktiver Funktionalität und die klar gestaltete und so großzügig in das landschaftliche Umfeld eingefügte Reihenwohnhausanlage in Harlaching. Das Druckereigebäude des Süddeutschen Verlages in München ist ein Klassiker moderner Industriearchitektur. Die modulare Ordnung, Reihung und Rhythmus der Elemente, prägnanten Konturen und spannungsvollen Kontraste zwischen Geschlossenem und Transparentem differenzieren und gliedern den Baukörper und den Raum. Die Auswahl und Zuordnung der Werkstoffe, ihre Textur, Form und Farbe vermitteln dem Gebäude sensible Substanz, ausgewogen, werkgerecht, präzise, nichts dem Zufall überlassend. Die Hierarchie des Maßstäblichen und der Proportionen fasst alle Teile zu einem Ganzen zusammen. Ein Bau, der für den Freund und Weggefährten Hans-Busso von Busse eine fast „klassische“ Schönheit erreichen lässt.

„Der Inhalt des Bauwerkes, die immateriellen Inhalte von Architektur stehen mit dem Konstruieren in einem ähnlichen Zusammenhang wie Geist und Körper: Zwei kategorial verschiedene Begriffe, die so sehr voneinander abhängen, dass sie nur gemeinsam als ein Drittes, als Architektur“, so Peter C. v. Seidlein, „existent sind.“ Zum einen rationales und technisches Kalküls, zum anderen auch Baukunst. Immer ist beim Planen, Suchen und Bewerten gestalterisches Denken und Empfinden mit im Spiel.

Er galt als verantwortungsbewusster und couragierter (und auch streitbarer und engagierter) Architekt und Lehrer. Ein Kämpfer, unbeugsam, unbequem – der radikalste Verfechter der modernen Architektur in München, wurde er einmal vom Architekturhistoriker Winfried Nerdinger geschildert. Architektur war für ihn Anspruch und Verpflichtung, sie war Chiffre einer Bringschuld an die Menschlichkeit, an Tradition und gleichwohl auch an Fortschritt. Sie war für ihn Haltung, als Protest und Widerspruch gegen die ästhetische Banalität, gegen eine durch die Nivellierung der Gesellschaft ungezügelt fortschreitende Kulturlosigkeit. Hier Position zu beziehen war für ihn so selbstverständlich und so unentbehrlich wie das eigene Bauen. Baukunst bedeutete für ihn, als Lebenswert und Lebensart verstanden und in die Zukunft eingebracht zu werden. – Peter C. von Seidlein war Architekt, durch und durch.

Jan Esche