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Kirchen in der Stadt – erben, erhalten, nutzen

12. August 2008

„Es geht bei den hektisch bewegten Fragen nach Stilllegung, Schließung, Verkauf und Abriss von Kirchen zuerst um BauKunst – um unser Selbstverständnis als kulturgeprägte, als kulturtragende und Kultur schaffende Gesellschaft.“ (Gisberth Hülsmann)

Wohl fast alle Gruppierungen der Gesellschaft, nicht zuletzt Architekten und Stadtplaner, sind gefordert: Es geht um die Zukunft unserer Kirchengebäude. Martin Halfmann, Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Architekten BDA, hat die Problematik unlängst auf den Punkt gebracht: „Eines ist sicher. Kirchen sind Gottes-Häuser und damit Teil der Stadt. Und von Häusern und Städten verstehen Architekten etwas.“

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Hahn/Helten, Grabeskirche St. Josef, Aachen

Martin Halfmanns Worte fielen zur Eröffnung einer zweiwöchigen Veranstaltungsreihe des BDA Ende 2006: In sechs Städten Nordrhein-Westfalens – in Aachen, Düsseldorf, Duisburg, Köln, Münster, Paderborn – fanden Gespräche, Diskussionen und Besichtigungen zur immer ernster werdenden Problematik jener Kirchengebäude statt, die von den beiden christlichen Kirchen nicht mehr unterhalten werden können.

Der BDA verfolgte mit den Veranstaltungen das Ziel, eine öffentliche Diskussion zwischen Kirchen- und Kommunalvertretern, Gemeindemitgliedern und interessierten Bürgern, also zwischen Menschen mit ganz unterschiedlichen Perspektiven, Interessen und Gefühlslagen zu initiieren. Denn so sehr das Thema in den Medien eine Rolle spielt und in etlichen betroffenen Gemeinden Unruhe und Proteste ausgelöst hat, so wenig ist es mancherorts über den engeren Kreis der kirchlichen Gremien und Entscheidungsträger hinausgekommen.

Keine Speisung in St. Engelbert

Wie sensibel das Thema anzugehen ist, zeigte sich angesichts der vom BDA Essen geplanten Veranstaltung „Raumgenuss – Speisung mit Kunst und Kultur“, die in der von der Schließung bedrohten Kirche St. Engelbert stattfinden sollte. Der Essener Ruhrbischof Bischof Felix Genn untersagte sie kurzfristig mit dem Argument, daß es sich dabei um eine nicht-liturgische Nutzung des Kirchenraumes handele: Denn der BDA hatte vor, während mehrerer Tage einen Mittagsimbiss in der großen, von Dominikus Böhm 1934/35 errichteten Kirche anzubieten, und dazu Gemeindemitglieder und Anwohner, Mitarbeiter der umliegenden Großunternehmen und bedürftige Menschen einzuladen. Den Rahmen sollte ein Kulturprogramm – Geschichten und Erfahrungen rund um die Kirche – bilden. Es hätte also hinreichend Gelegenheit gegeben, sich über die Situation dieser und anderer Kirchen auszutauschen.

Ansonsten aber wurde die Einladung des BDA von Generalvikaren, Diözesanbaumeistern, Theologen und Pfarrern gerne wahrgenommen. Die Kirchenvertreter informierten über den Stand der Diskussion in ihren Gemeinden, über konkrete Problemfälle und konzipierte oder bereits auf den Weg gebrachte Strategien. Von städtischer Seite beteiligten sich Denkmalpfleger und Mitarbeiter der Bauverwaltungen. Architekten und Kunsthistoriker komplettierten die Gesprächsrunden.

Feststellen ließ sich während der zwei Veranstaltungswochen, daß beide christlichen Kirchen trotz unterschiedlicher theologischer Auffassungen über die Sakralität von Kirchenräumen im Umgang mit der Problematik weitgehend übereinstimmen. So gleichen sich die Hierarchien der Umnutzungsszenarien. Sie reichen von der innerkirchlichen Alternativnutzung über soziale und kulturelle Verwendungen durch andere Träger bis hin zum Verkauf resp. dem Abriß als ultima ratio.

Ein wesentlicher Unterschied besteht jedoch hinsichtlich der Entscheidungskompetenzen. Auf katholischer Seite sind sie „ganz oben“ angesiedelt: So erfuhren im Bistum Essen etliche Gemeinden erst durch ein Kanzelwort ihres Bischofs, daß ihre Kirche zu den fast 100 „weiteren“, also nicht mehr für den Gottesdienst benötigten, von etwa 300 Kirchengebäuden gehört.

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Hahn/Helten, Grabeskirche St. Josef, Aachen

Bei den Protestanten werden die Weichen in den Gemeinden gestellt – das liegt an deren weitgehender finanzieller Autonomie – und die Landeskirche wird nur in besonderen Fällen hinzugezogen. Nicht von ungefähr äußerte ein Architekt im Publikum einer Diskussion die Befürchtung, daß die notwendige Transparenz von Entscheidungen hier schwer zu gewährleisten sei. Denn oftmals gebe es ein außergemeindliches Interesse am Erhalt einer Kirche, wo die Gemeinde selbst es vielleicht gar nicht sehe.

Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Veranstalter, Referenten und Publikum der BDA-Reihe waren sich letztlich einig: Tragfähige Lösungen sind nur im Dialog aller Beteiligten zu finden. An die Adresse der Kirchen richtet sich der Appell, die vielfältigen Aspekte der Problematik stärker auszuloten und zu berücksichtigen. Andreas Nohr, ehemaliger Pfarrer und langjähriger Mitarbeiter des Evangelischen Kirchbautages, sprach geradezu von einer Überforderung der Kirchen. Diese zeige sich vor allem in der auf betriebswirtschaftliche Fakten reduzierten Diskussion. Hier müsse man den Kirchenverantwortlichen gegebenfalls klar machen, daß auch außerkirchliche Kreise ein Interesse am Erhalt der Kirchen in unseren Städten haben.

In einem Vortrag in Köln sprach Gisberth Hülsmann, Architekt mehrerer, auch bedrohter Kirchenbauten, den Amtskirchen sogar das Recht ab, mit dem baulichen Erbe eigenmächtig zu verfahren, sich der Bauten womöglich sogar zu entledigen. Als Körperschaften öffentlichen Rechts seien sie weder staatsrechtlich noch moralisch legitimiert, mit den ihnen von den Gläubigen „gestifteten“ oder treuhänderisch übergebenen Kirchenbauten „Handel und Geld-Geschäfte zu betreiben“. „Mit funktionalem Bedarf und wirtschaftlicher Nutzung zu argumentieren, bedeutet eine unerträgliche kulturverachtende Trivialisierung und Banalisierung jener Werke der BauKunst, die wir Kirche nennen.“

Ein gesamtgesellschaftliches, öffentliches Interesse am Erhalt und der Nutzung von Kirchengebäuden resultiert insbesondere aus ihrer städtebaulichen und stadtbildprägenden Bedeutung. Jörg Heimeshoff, Denkmalpfleger der Landeshauptstadt, stellte dies am Beispiel Düsseldorfs exemplarisch dar. Zur sozialen und kulturellen Bedeutung der Kirchen im Stadtgefüge hat sich Nordrhein-Westfalens Bauminister Oliver Wittke bekannt: „Bei einem Verlust von Kirchengebäuden, sei es durch Abriß oder problematische Umnutzung, sind in jedem Fall grundlegende Funktions- und Gestaltungsprobleme zu erwarten. An dem Erhalt und einer städtebaulich verträglichen Weiternutzung von Kirchengebäuden besteht ein öffentliches Interesse.“ Im gleichen Atemzug betont Wittke jedoch, daß er eine primäre Verpflichtung der Kirchen als Eigentümer für „Sicherung und Weiterentwicklung dieser Bauwerke“ sehe. 1) Kirchenvertreter wiederum verweisen auf die Pflicht des Staates zum Erhalt des baukulturellen Erbes, wie es in den Denkmalschutzgesetzen der Länder festgeschrieben ist.

In Nordrhein-Westfalen zeigt das Land indes – entgegen der angesprochenen Auffassung des Ministers – eher ein zurückhaltendes Engagement. Zwar will man Machbarkeitsstudien zu 14 nicht mehr als Gottesdienststätten benötigten Kirchengebäuden – darunter 11 Nachkriegskirchen – aus dem Städtebauförderungsetat finanzieren. Eine Zusage für eine Unterstützung der Umsetzung dieser Konzepte gibt es bisher jedoch nicht. Auch ist nicht klar, wie die Untersuchungsergebnisse für den Umnutzungsprozess anderer gefährdeter Kirchengebäude fruchtbar gemacht werden können.

2006 hat der Landtagsabgeordnete Thomas Sternberg 2) (CDU) angeregt, eine Landesstiftung nach dem Vorbild der 1975 gegründeten Stiftung zur Industriedenkmalpflege ins Leben zu rufen. Auch sie wurde im politischen Raum bisher nicht aufgegriffen. Die dringend notwendige Initiative aller gesellschaftlichen Akteure ist also derzeit nicht in Sicht.

Ungeliebte Nachkriegskirchen

Auf die besonders gefährdeten Nachkriegskirchen hat der BDA bei seiner Veranstaltungsreihe ein besonderes Augenmerk gerichtet. Am Beispiel des Bistums Essen läßt sich ablesen, daß die Kirchen der fünfziger bis siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts wesentlich häufiger zur Disposition gestellt werden als die im späten 19. und in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts erbauten. Grund dafür ist nicht allein die große Zahl der nach dem zweiten Weltkrieg entstandenen Kirchengebäude – es handelt sich fast um die Hälfte des Bestandes -, sondern auch deren geringere Wertschätzung. Und diese – nicht nur auf Kirchbauten zutreffende – Mißachtung einer ganzen Bauepoche läßt sich nicht nur bei vielen Gemeindemitgliedern festzustellen, sondern auch bei der Institution Kirche selbst, obwohl sie als Bauherrin in diesen Jahrzehnten eine qualitativ und gestalterisch avancierte Sakralbaukunst ermöglichte.

So hebt der Kriterienkatalog der evangelischen Kirche für die Umnutzung oder den Verkauf ihrer Kirchengebäude darauf ab, daß man wisse, wie eine „richtige“ Kirche auszusehen habe. Für die Evangelische Kirche im Rheinland drückte es Kirchenrechtsdirektorin Antje Hieronimus in Düsseldorf so aus: „Je höher der Symbolwert eines Gebäudes ist, desto weniger sollte an einen Verkauf gedacht werden… Grundprämisse ist, daß das, was wie Kirche aussieht, auch in Zukunft Kirche enthalten soll.“

All jene modernen Kirchenbauten, die mit dem herkömmlichen Formenkanon gebrochen haben, werden damit in ihrer Existenzberechtigung als Gottesdienststätten in Frage gestellt. Betroffen sind davon in Nordrhein-Westfalen auch Werke so bedeutender Baumeister wie Rudolf Schwarz oder Dominikus und Gottfried Böhm. Erschwerend beim Kampf um den Erhalt der Kirchen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kommt hinzu, daß der Denkmalschutz für die Bauten der Nachkriegszeit vielerorts noch lückenhaft ist.

Allerdings mußte in den Diskussionen auch konzediert werden, daß ein kompromißloser Erhalt aller Kirchenbauten sinnlos ist. Es gibt Bauten, die einfach schwer mit kirchlichem Leben zu füllen sind. Thorsten Nolting, evangelischer Pfarrer und Leiter der Diakonie in Düsseldorf, sprach von „Gebetsgaragen“ und stellte sarkastisch fest: „Oftmals haben die Architekten selbst entschieden, daß ihr Gebäude nach nicht allzu langer Zeit abgerissen wird.“ Dies mag in Architektenohren hart klingen, entspricht aber dem Empfinden zahlreicher Menschen. In solchen Fällen hilft es nicht, eine „neue Wahrnehmung“ dieser Kirchengebäude zu fordern und auf die fehlende Schulung des ästhetischen Urteils zu verweisen. Diese Kirchen haben ihre Chance gehabt.

Moscheen statt Kirchen?

Regelmäßig kam in den Diskussionen um den Erhalt „überflüssiger“ Kirchen die Frage auf, warum sich beide Kirchen gegen die Übergabe ihrer sakralen Gebäude an nicht-christliche Religionen, insbesondere Muslime, sperrten. Eine religiöse Weiternutzung sei doch sinnvoller als eine profane. Gerade in einigen Stadtteilen des Ruhrgebietes gibt es einen so hohen türkischen Bevölkerungsanteil und eine dementsprechend geprägte Infrastruktur, daß christliche Kirchen, die oft den städtebaulichen Mittelpunkt bilden, beinahe anachronistisch erscheinen. Bei solchen Gebäuden läge, so die oft gehörte Meinung, eine Umwidmung als muslimische Gebetsstätte nahe.

Hier argumentieren katholische und evangelische Kirche umgekehrt: Aufgrund des hohen Symbolwertes von Kirchengebäuden sieht man die Gefahr, daß eine Übereignung an nicht-christliche Glaubensgemeinschaften als Rückzug der christlichen Religion interpretiert werden könnte. Einer solchen „imageschädigenden Fremdnutzung“ (Bischof Wolfgang Huber) sei im äußersten Fall sogar der Abriß vorzuziehen.

Es ist fraglich, ob diese Sichtweise, die indirekt mit Kategorien von Sieg und Niederlage auf dem religiösen Feld zu tun hat, auf Dauer Bestand haben kann. Viele Gläubige sehen die Dinge bei weitem nicht so dogmatisch wie ihre Kirchenleitungen: Dies wurde besonders deutlich an den vorweihnachtlichen Protesten zahlreicher Katholiken gegen die durch den Kölner Erzbischof verhängte Einschränkung der interkonfessionellen Weihnachtsfeiern an Schulen.

Diese Diskussion wird bislang völlig über die Köpfe der muslimischen Mitbürger hinweg geführt, deren Ambitionen womöglich eher in Richtung Moscheen-Neubau gehen. Den Diskutanten war jedenfalls kein Beispiel für Bestrebungen auf muslimischer Seite bekannt, in einer ehemals christlichen Kirche unterzukommen. 3)

Gelungene Umnutzungen

Selbstverständlich wurde im Rahmen der Veranstaltungsreihe auch eine Reihe bereits umgenutzter Kirchen im Lande vorgestellt und besichtigt: So hat das Büro Hahn Helten die Kirche St. Josef in Aachen zu einer Urnenbegräbnisstätte umgebaut. Weil sich so eine neue, innerkirchliche Funktion für den leergefallenen Bau fand, konnte die nahegelegene berühmte Fronleichnamskirche von Rudolf Schwarz als Gottesdienstort erhalten bleiben. Auch St. Konrad in Marl wurde zu einem Kolumbarium (Architekten Pfeiffer, Ellermann, Preckel), die Martinikirche in Bielefeld Restaurant (Architekt Heinrich Martin Bruns) und St. Bonifatius in Münster Verlagshaus (agn Paul Niederberghaus).

Ein glücklicher Fall der „Wiederentdeckung“ und Revitalisierung einer Nachkriegskirche kam im Rahmen der Kölner Veranstaltung zur Sprache: Nach der Aufhebung des Franziskanerklosters 1978 blieb die Kirche „Zum unbefleckten Herzen Mariens“, die Emil Steffann 1950-52 erbaute, ohne Gemeinde und liturgische Nutzung. Mittlerweile wurde sie zum geistlichen Zentrum der Obdachlosenarbeit des Stadtdekanates Köln und auf eindrucksvolle Art und Weise wiederbelebt.

Prozeßmanagement

So wichtig und anregend solche Beispiele sein können, so wenig dürfen sie hinsichtlich ihrer Übertragbarkeit überschätzt werden. Die Aufgabe, der sich Kirchen- und Bürgergemeinden gemeinsam stellen müssen, ist die Bewertung jedes Einzelfalles mit all seinen Anforderungen und Potentialen. Ein ganzes Koordinatensystem von Kriterien muß berücksichtigt werden, darunter auch Aspekte, die das Gebäude selbst gar nicht betreffen. In Aachen stellte Jörg Beste diese dar und kam zu dem Schluß: „Jede einzelne Kirche hat in diesem Kriterienfeld ihr eigenes Profil, das in Prozeß und Art der Behandlung individuelle Anpassung erfordert. Ein Prozeß und eine Umnutzung, die an einem Ort gut anwendbar sind, sind für andere völlig ungeeignet.“ Angesichts der Komplexität und Risiken brauchen die Gemeinden Hilfestellungen, wenn der Neuorientierungsprozeß baulich, kulturell und sozial erfolgreich verlaufen soll. „Dies gilt unter anderem besonders für die Moderation und Organisation eines derart komplizierten und schmerzlichen Vorgangs.“ Ein solches Prozeßmanagement vorbildlich zu entwickeln, zu erproben und zur Verfügung zu stellen, wäre eine lohnende Investition in die Zukunft unserer Kirchen.

Dr. Ute Joeressen

1) In: Diskurs kommunal 2006. Hrsg. v. Henning Walcha, Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., St. Augustin 2006.
2) Vgl. den Text von Thomas Sternberg auf S. 39 dieser Ausgabe.
3) Vgl. das Interview mit Talat Kamran und Faruk Sahin auf S. 44.